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Geno-Impuls Nr. 14

Planung und Ausführung oder Vorbereitung - ein fundamentaler Unterschied

Von Thomas M. Brösamle

 

"Wenn Sie glauben alles unter Kontrolle zu haben, dann fahren Sie noch nicht schnell genug." Mario Andretti (ehemaliger US-amerikanischer Automobilrennfahrer)

 

 

 

Glauben Sie ernsthaft, dass Sie morgen erfolgreich und wirksam arbeiten können, wenn Sie danach streben zu jeder Zeit alles im Griff zu haben bzw. das Geschehen zu beherrschen?

 

Egal wie Ihre Haltung als Führungskraft, Spezialist oder Unternehmer ist, wichtig ist es zunächst einmal Unterschiede sichtbar zu machen. Hierzu verwende ich gerne Begriffspaare (siehe Geno-Impuls Nr. 2) bzw. Analogien aus dem Alltag bzw. dem Sport. 

 

 

Die erste Geschichte aus dem Rennsport - "schneller frisst schnell": 

 

Ich bleibe zunächst in der Analogie des Autorennens. Das eine Bild ist das einer Rennstrecke, sagen wir es wäre der Nürburgring.

 

Ihr einziges Ziel: die vorgegebene Strecke in der schnellst möglichen Zeit zu bewältigen.

 

Sie studieren die Rennstrecke vor dem Befahren immer und immer wieder - zunächst auf dem Plan, aber dann auch vor Ort. Endlich geht es auf die Strecke. Sie fahren die ersten Runden vorsichtig und versuchen sich die Strecke perfekt einzuprägen. Nach einigen Runden kennen sie diese in und auswendig, Sie spüre wie sie schneller und schneller werden. Sie kennen nun jede Kurve, jede Unebenheit aber auch jede Besonderheit bzw. den Grenzbereich Ihres Fahrzeuges. Fremde Autos, eine Kursänderung, ein plötzlicher Wetterumschwung oder sonstige Überraschungen: Fehlanzeige. Sie können sich voll und ganz auf sich und Ihr Fahrzeug fokussieren bzw. konzentrieren. Gibt es technische Probleme am Fahrzeug, so steht Ihnen eine ganze Armada an Technikern, Spezialisten aber auch Ersatzteilen zur Verfügung. Diese warten nur darauf zum Einsatz zu kommen.

 

Irgendwann ist das Optimum auf dem Nürburgring erreicht - die Einheit aus Ihnen und Ihrem Fahrzeug wird nicht mehr schneller; das Fahrzeug droht in jeder Kurve auszubrechen. Abstrakt formuliert: Das System stösst an seine Grenzen und ist aufgrund der Ausrichtung auf Geschwindigkeit störanfällig bzw. "seitenwindempfindlich". 

 

Die zweite Geschichte aus dem Rennsport - "Expedition": 

 

 

 

Nehmen wir die Rallye Paris-Dakar als vermeintlich härtestes Rennen im Motorsport. Sie sind angemeldet und befinden sich wie bei einer Expedition in der Vorbereitung.

 

Sie müssen an viele Dinge denken und sich darauf einstellen. Neben umfangreichen Fahrzeugkenntnissen in Bezug auf Fahreigenschaften aber auch Technik müssen sie viele weitere Dinge durchdenken. Wie verläuft die Strecke? Welche Besonderheiten gibt es in Bezug auf Fahrbahnuntergrund, Hindernisse bzw. sonstige natürliche und technische Gefahren? Drohen Sandstürme? Welche Ersatzteile müssen im Fahrzeug mitgeführt werden um bei einem technischen Defekt sofort reagieren zu können? Sind sie selbst in der Lage diese Reparaturen in kurzer Zeit erfolgreich auszuführen? Was tun wenn sich das Fahrzeug im Sand eingräbt?  

 

Ähnlich wie bei einer Expedition müssen sie mit vielen Eventualitäten und Unvorhergesehnem rechnen. Natürlich geht es auch um Geschwindigkeit. Der erste im Ziel ist aber derjenige, welcher am besten mit den vielen Überraschungen auf der Strecke umgehen kann und dann handlungsfähig bleibt, wenn das Unvorhergesehene auftritt. Sieger = Geschwindigkeit x "erfolgreich überwundenen Hindernissen". Im unternehmerischen Kontext spricht man gerne von dynamikrobustem Handeln. 

 

Was hat das nun mit den aktuellen Herausforderungen in Unternehmen zu tun?

 

Die Übersetzung der Story "schneller frisst schnell" in den unternehmerischen Kontext: 

 

In Zeiten von trägen, beherrschbaren Märkten mit Marktmacht auf der Angebotsseite war es klug sich als Unternehmen auf Effizienz zu fokussieren. Aus der Kundenperspektive war das meist entscheidende Kaufkriterium der Preis. Auf der Unternehmerseite damit die Kosteneffizienz - interne Abläufe wurden optimiert, Qualität und Fehlerfreiheit in der Produktion sicherten Wettbewerbsvorteile.

 

Um das System am Laufen zu halten, wurde Arbeit funktional geteilt. In der Vertikalen in Management (oben) und Arbeit (unten), in der Horizontalen in Fachabteilungen (Vertrieb, Entwicklung, Produktion...) sowie in zeitlicher Hinsicht in Planung, Ausführung und Kontrolle.  

 

Schalenkompetenzen wurde ausgelagert - Kernkompetenz wurde selbst produziert. Man kannte seine Kunden und Mitbewerber. Der Manager (= Rennfahrer) war fokussiert auf das Beherrschen des Systems. Hierzu bediente er sich unterschiedlicher Instrumente: Steuerung, Planung, Budgetierung, Zielvereinbarungen, Mitarbeitergespräche... Ich denke sie kennen das mindestens genau so gut wie ich. 

 

Ein insgesamt eingeschwungenes "Spiel". 

 

Doch mit zunehmender Globalisierung und Digitalisierung werden die Märkte enger, die Macht verschiebt sich hin zum Kunden. Dieser kann permanent eine zunehmende Anzahl an Angeboten vergleichen - er wird dadurch anspruchsvoller, illoyaler und konfrontiert die Angebotsseite permanent mit neuen, individuellen Anforderungen. Ein Produkt einfach nur "von der Stange" genügt ihm meist nicht (mehr).  

 

Einigen Unternehmen gelingt es sich darauf einzustellen - sie erzeugen Dynamik auf ihren Märkten. 

 

Was macht nun das Team der Rallye Paris-Dakar aus einer unternehmerischen Innenperspektive anders als das Team "Nürburgring"? 

 

Dieses Team simuliert als Vorbereitung auf das Rennen permanent alle vorstellbaren "Störungen" bzw. Abweichungen vom Soll. Das Team diskutiert laufend über die nächsten Schritte bzw. über den Umgang mit auftretenden Problemen. Alle zur Zielerreichung notwendigen Kompetenzen (also fachübergreifend) sind eingebunden. Auf der Strecke wird laufend nachjustiert - man nutzt den Wettbewerb um selbst permanent besser zu werden, auch wenn der Abstand zu den Mitbewerbern bereits groß ist. Egal was passiert (welche Kundenanforderungen auftreten) man findet immer eine Lösung. Auch wenn einiges auf Anhieb nicht klappt, man versucht es immer wieder, bleibt dran und irgendwann ist die Lösung (die Innovation) da. Man ist sich dessen bewusst, dass eine Innovation das letzte Glied einer langen Kette an Misserfolgen ist. 

 

Fazit: 

 

Sie beherrschen also die Rallye Paris-Dakar. Die anderen fahren hinterher und verstehen nicht warum die erfolgreichen Teams so schnell sind und mit den Überraschungen scheinbar wie von Geisterhand gemacht, umgehen können. Sie leiden unter der Dynamik ihrer Mitbewerber. 

 

Erfolgreiche Unternehmen haben in Anlehnung an die Motorsport-Analogie folgendes gelernt: 

 

  1. Sie haben die Management- und Steuerungsfalle überwunden. Sie versuchen ganz bewusst nicht mehr alles im Griff zu behalten, wissend dass man dadurch am Markt nicht mehr bestehen kann - kluge Organisation
  2. Sie beschleunigen ganz bewusst und sehen die dann beobachtbare Dynamik als gemeinsame sportliche Herausforderung für alle - Dynamik als Chance
  3. Alle sind permanenten im Beta-Modus. Man übt und probiert permanent Neues aus. Zwischen den Spezialisten gibt es hierfür einen permanenten Austausch - Expeditionsmodus ist kritischer Erfolgsfaktor
  4. Abgrenzungen durch (Fach)-Abteilungen sucht man vergeblich - kluge Organisationsentwicklung statt dummer Appelle
  5. Durch diese ("always beta")-Haltung, aber auch durch den permanenten Austausch mit dem Kunden entstehen Innovationen - individuelle Kundenlösungen machen erfolgreich. 
  6. Hiermit stellt man die Zukunftsfähigkeit sicher. Alle fühlen sich dem Unternehmertum verpflichtet - Menschen sind auch im Job intrinsisch motiviert (Theorie Y). 
  7. Die gesamte Organisation erlebt und spürt täglich, in welcher Form auch immer, den Kunden. Das marktnahe Agieren macht sie reflektiert, intelligent und wandlungsfähig - Kunde ist immer der König und hat "Vorfahrt" vor internem Hokuspokus.