Wörterbuch

 

Alle wichtigen Begriffe, welche Sie für Arbeit in einem komplexen Marktumfeld und für einen Einstieg in die soziologische Systemtheorie benötigen. Ich werde die Liste laufend erweitern. 


A

Autopoiese

... beschreibt den Willen bzw. den Drang von sozialen, psychischen oder biologischen Systemen sich selbst zu erhalten und fortzusetzen. Das Phänomen wurde von Humberto Maturana in der Biologie erstmals beschrieben und ist einer der Schlüsselbegriffe der soziologischen Systemtheorie von Niklas Luhmann. 

 

Ausdifferenzierung - funktionale Differenzierung

In der Evolution der Menschheit ist beobachtbar, dass sich aus sozialen Systemen einzelne neue Teilsysteme herausbilden. Eines der Kernmerkmale der modernen Gesellschaft.   

 

 

B

Beobachtung (1. und 2. Ordnung)

Für die Beobachtung von sozialen Systemen braucht es die Möglichkeit zur Unterscheidung. Die Fähigkeit zur Unterscheidung (und damit zur Beobachtung) hängt natürlich am Beobachter. Beispielsweise kann man in der Wirtschaft beobachtend unterscheiden zahlen oder nicht zahlen. 

 

beobachten (unterscheiden und bezeichnen)

... ist die Einheit der Differenz von Unterscheidung und Bezeichnung. Ein System, welches beobachtet, kann nur etwas bezeichnen, wenn es zuvor das Bezeichnete von etwas anderem unterschieden hat. Dies setzt die Fähigkeit von Wahrnehmung voraus.

 

 

C

Codierung

Merkmale von sozialen Systemen können über deren Codierung unterschieden werden. Beispielsweise das soziale System Wirtschaft ist über die Codierung zahlen oder nicht zahlen unterscheidbar; das soziale System Familie über Liebe, keine Liebe bzw. das System Politik über Macht oder keine Macht. 

 

 

D

Determinismus

... ist die Auffassung, dass alle zukünftigen Ereignisse durch Vorbedingung eindeutig festgelegt sind. 

 

 

E

Emergenz

... beschreibt die Fähigkeit der Herausbildung von neuen Eigenschaften oder Strukturen in Folge des Zusammenspiels seiner Elemente; u.a. gut beschrieben bei Prof. Peter Kruse in "next practice Erfolgreiches Management von Instabilität" anhand von Beobachtungen bei natürlichen Organismen. Es entsteht also etwas Neues, was im Vorhinein nicht absehbar war. Für mich ein wesentliches Phänomen für Arbeit in Komplexität. 

 

Erwartungen

siehe Erwartungserwartungen

 

Erwartungserwartungen

... ist ein Begriff aus der soziologischen Systemtheorie über die Stabilisierung sozialer Situationen. Erwartungen reduzieren Komplexität in sozialen Systemen und machen Situationen für die Beteiligten kalkulier- und beherrschbarer. Erwartungserwartungen sind solche Erwartungen, die sich auf die Erwartungen eines Gegenübers beziehen.

 

Beispiel: Alter und Ego begegnen sich und grüßen einander. Alter erwartet, dass Ego ihn zuerst grüßt, und Ego erwartet, dass Alter den Gruß erwidert. Aber Alter muss auch erwarten, dass Ego erwartet, zurück gegrüßt zu werden, so wie Ego erwarten muss, dass Alter erwartet, zuerst gegrüßt zu werden. Ohne Erwartungserwartung des jeweils anderen bleiben die eigentlichen Erwartungen von Alter und Ego unerfüllt.

 

 

H

Heuristik

... bezeichnet die Fähigkeit mit begrenzter Zeit und / oder begrenztem Wissen zu praktikablen Lösungen bzw. wahrscheinlichen Aussagen zu kommen.  

 

 

I

Information

Neben Mitteilung und Verstehen einer der drei Begriffe, welcher für das Begreifen der Kommunikation nach Niklas Luhmann benötigt wird. Erst Kommunikation ermöglicht das Aufrechterhalten eines sozialen Systems.  

 

Intervention

In Abgrenzung zur klassischen Beratung greift die Intervention direkt in das Geschehen ein um eine Organisation zu "irritieren" bzw. zu "stören". Im Vordergrund steht das Handeln und nicht das Entscheiden. 

 

Integration

siehe Projektion

 

 

K

Komplexität

... das worum es in Abgrenzung zum Komplizierten in diesem Blog im Wesentlichen geht.  Es ist eine beobachtbare Eigenschaft eines sozialen Systems; Entscheidungen reihen sich an Entscheidungen. Da diese auch immer anders ausfallen können kennzeichnet diese ein hohes Maß an Überraschung. Je größer die Vielfalt desto komplexer das soziale System. Im Komplexen braucht es Können; die Währung dafür ist "üben".  Die korrespondierende Farbe ist rot. 

 

kompliziert

... ist ein relativer Begriff. Für den einen ist es kompliziert, für den Wissenden ist es einfach (z.B. ein mechanisches Uhrwerk für den Uhrmachermeister). Kompliziertes braucht Wissen; die Währung ist "lernen" oder "büffeln". Die korrespondierende Farbe ist blau. 

 

Kontingenz / kontingent

Einer der Begriffe für die komplexe Welt. Eine Ereignis kann so passieren oder aber auch komplett anders. So ist der Verlauf eines Gespräches oder Fußballspieles kontingent. 

 

Konstruktivismus

Ist eine Erkenntnistheorie, die sich mit der Frage beschäftigt, wie wir zu unseren Erkenntnissen bzw. zu unserem Wissen kommen. Der Konstruktivismus geht davon aus, dass gewisse Zweifel an dem Glauben angebracht sind, dass Wissen und Wirklichkeit übereinstimmen. Das menschliche Gehirn erzeugt kein fotografisches Abbild von Wirklichkeit, sondern es schafft mithilfe von Sinneswahrnehmungen ein eigenes Bild der Welt. Wahr ist, was wahrgenommen wird. Der Konstruktivismus nimmt Abschied von der absoluten Wahrheit. Ein Begriff der beispielsweise bei Fritz B. Simon Verwendung findet. 

 

Kommunikation (soziologisch)

Nur soziale Systeme können kommunizieren. Am Anfang steht nicht Identität, sondern Differenz. Kommunikation ist unwahrscheinlich, riskant und hält sich nur durch Missverständnisse aufrecht. Vergessen Sie was Sie bisher über Kommunikation gelernt haben (Sender-Empfänger-Horizont, Vier-Ohren-Modell ...). Ich werde der Thematik aufgrund ihrer Bedeutung einen eigenen Geno-Impuls widmen.  

 

Kognition, kognitiv 

... ist die Gesamtheit aller Prozesse, die mit dem Wahrnehmen und Erkennen zusammen hängen. 

 

Korrelation

Eine Korrelation beschreibt eine Beziehung zwischen zwei oder mehreren Merkmalen, Ereignissen, Zuständen oder Funktionen.

 

Kausalität

... ist die Beziehung zwischen Ursache und Wirkung, betrifft also die Abfolge aufeinander bezogener Ereignisse und Zustände. Demnach ist ein Ereignis oder der Zustand A die Ursache für die Wirkung B, wenn B von A herbeigeführt wird. Achtung: nicht verwechseln mit Korrelation. Ein Beispiel aus einem der Bücher von Lars Vollmer: wirtschaftlicher Wohlstand einer Volkswirtschaft und die Höhe der Staatsausgaben für das jeweilige Bildungssystem sind positiv korreliert. Ob das eine für das andere ursächlich ist, lässt sich nicht mit Gewissheit sagen. Oftmals unterliegen Menschen einer sog. narrativen Verzerrung. Man meint etwas mit dem gesunden Menschenverstand im Nachhinein erklären zu können.

 

Kybernetik

... ist die Wissenschaft der Steuerung und Regelung von Maschinen, lebenden Organismen und sozialen Organisationen. Ein bekanntes Beispiel ist das Thermostat. Weicht die Ist-Temperatur vom Soll ab, veranlasst der Regler im Thermostat die Heizung die Temperatur an das gewünschte Soll anzupassen.

 

 

M

Mitteilung

Einer der drei wesentlichen Elemente der Kommunikation nach Niklas Luhmann. Kommunikation ist eine Synthese aus Information, Mitteilung und Verstehen. Nach der Selektion der Information folgt die Selektion der Mitteilung auf der Senderseite ("Alter") und dann die Selektion des Verstehens auf der Empfängerseite ("Ego"). 

 

 

N

New Work

Ein oftmals völlig falsch eingesetzter Begriff. Es ist lediglich ein Klammerbegriff um die Veränderungen in der Arbeitswelt zu beschreiben. Man kann New Work weder einfach so einführen noch im Sinne von Management "messen". 

 

natürliche oder biologische Systeme

Neben sozialen und psychischen Systemen existieren nach Luhmann biologische oder natürliche Systeme in Form von Organismen, Zellen bzw. Nerven- und Immunsystemen.

 

narrative Verzerrung

Um logische Verknüpfungen herzustellen und bestimmten Ereignissen nachträglich Plausibilität zu verleihen, konstruieren Menschen Geschichten, die ihnen helfen, Komplexität und Unwissenheit zu reduzieren.

 

 

P

Paternalismus

... ist das Bestreben eines Staates andere (Staaten) zu bevormunden oder zu gängeln. 

 

Pertubation

Verwirrung, Störung, Unruhe oder Unordnung. Man kann soziale Systeme nicht kausal beeinflussen, sehr wohl aber stören oder irritieren. 

 

post-tayloristische Zeit

Informations- bzw. Wissenszeitalter, Zeitalter der Netzwerkökonomie

 

Projektion

... dort, wo Kommunikation durch Beobachtung des sozialen Systems stattfindet bildet sich eine Art Projektionsfläche, an welcher ein sogenanntes "Kommunikationsbündel" entsteht. In der Beobachtung werden Menschen dann von sozialen Systemen als Personen (mit ihrer jeweiligen Rolle im System) und nicht als Mensch wahrgenommen. In der Theorie von Niklas Luhmann werden psychische Systeme (Personen) von sozialen Systemen nicht integriert. Den Menschen als ganzheitliches Individuum kennt die Systemtheorie nicht.

 

Psychische Systeme

Neben sozialen und natürlichen Systemen existieren nach Luhmann psychische Systeme in Form von menschlichem Bewusstsein.

 

Person

... im soziologischen Sinn bezeichnet ein Individuum, einen Menschen, der verschiedene Rollen einnimmt, so z. B. in der Familie (Mutter, Bruder, Kind)l, eine Funktion im Beruf (Spezialist, Führungskraft) oder bei der Ausübung seiner Hobbys (Vereinsmitglied, Schatzmeister). Der Mensch im Sinne der Systemtheorie ist das Integral (oder einfacher ausgedrückt: die Summe) über alle Personas bzw. alle Rollen.

 

 

R

Resilienz

Ist die psychische Widerstandskraft bzw. Fähigkeit in schwierigen Situationen ohne anhaltende Beeinträchtigung zu überstehen. In der Gegenwart wohl eine der größten menschlichen Herausforderungen.  

 

 

S

soziale Systeme

Bestehen nicht aus Menschen sondern aus Kommunikationen. Sie sind autopoietisch (also selbstreferenziert), operativ geschlossen, strukturell gekoppelt und selbst- und fremdbeobachtend. Man sagt auch, dass diese konservativ und vergangenheitsstabilisierend sind. 

 

 

struktuturelle Kopplung

Ein wesentliches Merkmal sozialer Systeme. Es meint, dass Beziehungen zwischen Systemen bestehen obwohl diese selbstreferentiell sind. 

 

System-Umweltgrenze

Für Niklas Luhmann ist die Unterscheidung (ein System grenzt sich prinzipiell gegen seine Umwelt ab) eine der Kernaussagen seiner Theorie. Es gibt also immer etwas, was zum System gehört, und etwas, was nicht dazu gehört (Umwelt). Diese Differenz System-Umwelt liegt der gesamten Systemtheorie zugrunde.

 

Schmetterlingseffekt

Er tritt in nichtlinearen, dynamischen, deterministischen Systemen auf und äußert sich dadurch, dass nicht vorhersehbar ist, in welchem Maß sich beliebig kleine Änderungen der Anfangsbedingungen des Systems langfristig auf die Entwicklung des Systems auswirken. Ein Beispiel aus der Meteorologie wäre die Frage, ob ein Flügelschlag eines Schmetterlings in China einen Tornado in der Karibik auslösen kann.

 

 

T

Taylorismus 

Als Taylorismus bezeichnet man die von Frederick Winslow Taylor begründeten Prinzipien zur Prozesssteuerung von Arbeitsabläufen, welche er in seinem Werk "Scientific Management" beschrieben hat. Heute wird mit dem Begriff zeitlich die Epoche zwischen ca. 1910 und 1980 beschrieben und methodisch alles rund um das "Management" (vgl. Geno-Impuls Nr. 1). 

 

Theorie U

Von C. Otto Scharmer beschriebene Managementmethode "Von der Zukunft her führen". Im Zentrum steht das "Zuhören", vom reinen "Downloading" bis zum schöpferischen Zuhören. Besonders empfehlenswert sind die online-Kurse zu dieser Methode am MIT in Boston (u-lab). 

https://www.edx.org/course?search_query=u+lab

 

V

 

Vertrauen

 

Vertrauen ist der Glaube an die Redlichkeit und Ehrlichkeit des anderen. Ohne Vertrauen  ist ein Zusammenleben in einer sozialen Gemeinschaft nicht vorstellbar. Laut Niklas Luhmann ist Vertrauen ein Mechanismus zur Reduktion sozialer Komplexität. Ohne Vertrauen könnten wir morgens nicht das Haus verlassen: Halten wirklich alle Autos an der roten Ampel? Ist das Essen im Restaurant vergiftet?

 

W

 

Weltgesellschaft

Von Niklas Luhmann beobachtetes Phänomen der Globalisierung und des Zusammenwachsens der Gesellschaft, insbesondere durch die Entwicklung der Massenmedien. Der Zustand basiert auf der sukzessiven Ausdifferenzierung der Gesellschaften. 

 

Wirklichkeitskonstruktion

Ein Begriff des Konstruktivismus, wonach es keine absolute Wahrheit gibt, sondern das menschliche Gehirn mit Hilfe von Sinneswahrnehmungen eine eigene Wirklichkeit "konstruiert". Wie sang schon Pippi Langstrumpf: Ich mach mir die Welt, widdewidde wie sie mir gefällt.