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Geno-Impuls Nr. 1

Die Taylorwanne

Von Thomas M. Brösamle 

 

Kennen Sie diesen einen Moment in dem Sie merken, dass Ihr (Berufs-)leben einen neuen Weg nimmt? Ich hatte dieses Gefühl vor knapp 3 Jahren. Seit dem hat sich für mich sehr viel verändert. 

 

Doch langsam und der Reihe nach:

 

Mitte März 2016 im Hotel nhow in Berlin Mitte: Fachtagung des BVR zum Thema Organisation und Prozesse. Die für mich persönlich bis dorthin wenig inspirierende Tagung ist eigentlich schon vorbei, da steigt Niels Pfläging auf die Bühne des großen Tagungsraumes, um den Verbund mit seinen ungewöhnlichen Gedanken bzw. seiner ganz anderer Sicht auf Wirtschaft und Organisationen zu überraschen. Für mich ein begeisternder Impulsvortrag. Er gibt einen ungewöhnlichen Abriss über die wirtschaftliche Entwicklung der letzten 150 Jahre. Er spricht von Kompliziertem im Unterschied zum Komplexen, erläutert unterschiedliche Menschenbilder anhand der Theorie von Douglas McGregor (Theorie X und Y) und erklärt die Zusammenarbeit in dynamikrobusten Unternehmen (beispielsweise W.L. Gore, dm Drogeriemarkt oder Handelsbanken aus Schweden).

 

Nach dem Vortrag hatte ich endlich ansatzweise verstanden, warum vieles von dem was ich im Rahmen meiner Organisatorenausbildung an klassischen Methoden und Praktiken gelernt hatte, nicht mehr wirksam sind.

 

"Nur wer die Vergangenheit kennt, kann die Gegenwart verstehen und die Zukunft gestalten" (August Bebel). Aus diesem Grund ist die Taylorwanne meines Erachtens ein geeigneter Einstieg in die Thematik.

 

Sie besteht aus drei Epochen: dem Manufakturzeitalter (komplexe Wertschöpfung - "rot"), dem Industriezeitalter (komplizierte Wertschöpfung - "blau") und dem Informations- / Wissenszeitalter bzw. der sogenannten post-tayloristischen Epoche (sinkende blaue Wertschöpfung und steigende rote, dynamische Wertschöpfung). 

 

 Quelle: Grafik von Bernd Oestereich (http://kollegiale-fuehrung.de) Lizenz: Attribution-ShareAlike 4.0 International (CC BY-SA 4.0)

1. Manufakturzeitalter (bis ca. 1910):

 

Wir schreiben das Jahr 1847. Der erste genossenschaftliche Hilfsverein wird von Friedrich Wilhelm Raiffeisen gegründet. Es ist eine Zeit, welche geprägt ist vom Handwerk mit ihren Meistern und deren Schüler, organisiert in Zünften, Innungen, Gilden und Vereinen. Es gibt eine Vielzahl an engen und lokalen Märkten; Angebot und Nachfrage spielen sich nahezu ausschließlich in der Region ab. Im Vordergrund steht der Meister mit seinem Wissen, aber vor allen Dingen mit seinem Können und seiner Erfahrung. Es gilt der Grundsatz Mensch vor Maschine oder Manufaktur vor Effizienz. Die Arbeit ist komplex, es überwiegt der "rote Anteil" an der Wertschöpfung. Für die aufkommenden Massenmärkte der Industrialisierung ist die Arbeit zu komplex bzw. zu "verschwenderisch". 

 

Übrigens: die Farbe blau ist dabei Synonym für das Komplizierte, die Farbe rot für das Komplexe (siehe Grafik oben). Die genossenschaftliche Wertschöpfung ist nach meiner Einschätzung heute blau und rot und spiegelt damit die Verbundfarben wider. Meine These: der Anteil an blauer, komplizierter Wertschöpfung nimmt zunehmend ab, der rote, komplexe Anteil dafür zu. Lesen Sie mehr dazu in meinem zweiten Geno-Impuls. Bitte prägen sie sich die Farben und deren Bedeutung ein, das kommt in diesem Blog immer wieder!

 

 

2. Industriezeitalter (ca. 1910 - ca. 1980):

 

Doch dann mit Beginn der Industrialisierung gibt es eine dramatische Veränderung, die maschinelle Erzeugung von Gütern und Dienstleistungen nimmt Fahrt auf. Einer der relevanten Gründe war die Möglichkeit der deutlichen Senkung der Transportkosten. Güter konnten nun mit vertretbaren Kosten von A nach B transportiert werden. Die Wertschöpfung verlagert sich vom Menschen zur Maschine. Es entstehen stark wachsende und weite Massenmärkte, geprägt von einem teilweise massiven Nachfrageüberhang. Die Ideen der Standardisierung, der Bündelung von gleichartigen Tätigkeiten und dem Effizienzstreben sind geboren. Den Beginn macht der Schlachthof in Chicago mit den sogenannten "disassembly lines". Henry Ford folgt diesen Ideen ab dem Jahr 1913 mit Einführung der Fließbandfertigung bei der Automobilproduktion. Seinen "effizienten Höhepunkt" findet das Ganze dann in Methoden wie Six Sigma, Lean oder Qualitätsmanagement (ISO 9001). Man geht davon aus, dass sich die Produktivität im Verhältnis zum Manufakturzeitalter in nur zwei Generationen verhundertfacht hat. Ein beispielloser Siegeszug von Arbeit in der Geschichte der Menschheit. 

 

Einer der geistigen Väter ist Frederick Winslow Taylor mit seinem Konzept des (Scientific) Managements. Dieses ist im wesentlichen geprägt von einer konsequenten Arbeitsteilung in Organisationen: 

 

1. Trennung in der Vertikalen in Management und Arbeit (oben denken, unten arbeiten)

2. Trennung in der Horizontalen in unterschiedliche (Fach-)Abteilungen

3. zeitlichen Trennung in Planung, Ausführung und Kontrolle (z.B. PDCA-Zyklus).

 

Die ersten beiden Positionen werden in Unternehmen meist über Organigramme abgebildet, letzterer zum Beispiel über Projekt- und Meilensteinpläne. 

 

Dieses Konzept, welches gemeinhin "Management" genannt wird, findet sich bis heute in fast jedem Unternehmen dieser Welt. 

 

3. Post-Taylorismus (ab ca. 1980): 

 

Mit zunehmender Globalisierung werden die Märkte enger, dynamischer, digitaler und transparenter. Unternehmen mit reinem Fokus auf Wachstum stossen an Sättigungsgrenzen bzw. werden zunehmend verwundbar, weil Innovationskraft bzw. Flexibilität aufgrund der Unternehmensgröße bzw. -trägheit fehlt. 

 

Eines der ersten Unternehmen, welches sich um das Jahr 1970 mit moderner Produktion beschäftigt hat, war Toyota in Japan (konsequente Trennung von blauer und roter Wertschöpfung). Damit erzeugte Toyota enormen Marktdruck; andere Automobilhersteller geraten zunehmend in Bedrängnis, mit der Folge, dass Ingenieure aus aller Welt nach Japan "pilgern" und versuchen das Konzept zu verstehen. Ansätze wie Kanban, Kaizen bzw. den 7 Verschwendungsarten / Muri, Muda, Mura sind geboren und werden von der Autoindustrie neidisch beäugt und kopiert.

 

Was hat das alles mit dem Bankgeschäft zu tun?

 

Ich meine eine ganze Menge. Die enorme Verwundbarkeit der Finanzindustrie in Folge der Finanzmarktkrise 2007 ist nach meiner Einschätzung unter anderem auf die Entwicklung der Banken im Zeitalter des Taylorismus zurück zu führen. Die global agierenden Kreditinstitute sind in dieser Epoche enorm gewachsen und entwickeln sich zu ertragsoptimierten und hocheffizienten "Monokulturen". Der zerstörerischen Kraft dieser Krise können sie wenig entgegensetzen; einige Institute treten aus dem Markt aus und werden abgewickelt, andere durch staatliche Mittel vor der Insolvenz gerettet. Nur Deutschland mit seinen vielen "kleinen" Sparkassen und Genossenschaftsbanken kommt insgesamt gut durch die Krise. Der genossenschaftliche Finanzverbund inklusive der Zentralbanken ist stolz darauf, keinerlei Staatsmittel in Anspruch genommen zu haben.  

 

Es ist eine Zeit des Wandels. Das Bankgeschäft wird zunehmend digitaler, neue Marktteilnehmer (sog. non- und near-banks) treten ein, der Begriff der disruptiven Innovation ist gefunden. Niedrigzinsen, Regulatorik und Digitalisierung machen den klassischen Banken zu schaffen. Innovative Start Ups mit hippen digitalen Angeboten erzeugen Marktdruck und machen den alten "Platzhirschen" das Leben schwer. Das ist der Beginn eines großen Transformationsprozesses, welcher bis heute anhält und die Branche nach meiner Einschätzung auch noch weiter begleitet. Banken aller drei Bankengruppen, egal ob groß oder klein sind zur Veränderung verdammt. Alle versuchen sich mit vereinten Kräften gegen den Untergang der Brachen zu stemmen.  

 

Warum lohnt es sich mit diesen Dingen zu beschäftigen? Im Kontext der Taylorwanne, anbei meine ersten Geno-Impulse für Sie. Versuchen Sie die Wirtschaft der letzten 150 Jahre durch die Brille der Taylorwanne zu sehen und reflektieren Sie für sich, wo Sie selbst heute stehen:

 

  1. Welcher Teil Ihrer Wertschöpfung ist kompliziert (blau), welcher ist komplex (rot)? Meines Erachtens eine der Schlüsselfragen!
  2. Können Sie sich vorstellen, dass blaue Lösungen für rote Probleme ungeeignet sind?
  3. Wundern Sie sich, warum einige klassische Praktiken (z.B. im Projekt- oder Prozessmanagement oder in der Steuerung / Budgetierung) oftmals wirkungslos bleiben oder aber im Chaos enden? Dazu mehr im Geno-Impuls Nr. 2.
  4. Haben Sie sich schon mal gefragt, wie unsere genossenschaftlichen Urväter im 19. Jahrhundert in Ihren Einrichtungen gearbeitet haben (Lösung Mensch versus Maschine)?  Praktiken des klassischen "Managements" waren ja noch nicht erfunden, das kam erst später.
  5. Hilft uns das Verstehen der Ursprünge, vielleicht bei der Gestaltung der Zukunft? Wo braucht es Regeln, Prozesse und Standardisierung, wo ist menschliche Interaktion oder ein kluges Prinzip notwendig? 

 

Sehen Sie sich die Folien von Niels Pfläging in Slideshare an (insbesondere Folie Nr. 21!): 

 

https://de.slideshare.net/npflaeging/komplexithoden-keynote-by-niels-pflaeging-at-lean-dus-duesseldorfd 

 

bzw. lesen Sie das Buch "Komplexithoden" (eine kurze Beschreibung finden Sie im Abschnitt "Meine Leseempfehlungen".

 

Echt spannend auch der Vortrag von Niels aus dem Jahr 2016:

 

https://www.youtube.com/watch?v=fLipBipZzns

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